Dienstag, 27. März 2012

Toy Story 2: Opfer

Wir haben das Wort Toy studiert. Eine relativ faire Klassifizierung in der Szene. Das Wort "Opfer" ist sein 2 Meter grosser, extrem dummer Cousin. Ein Fleischberg eines Ausdrucks, unfähig zu sozialen Kompetenzentscheidungen, willkürlich, Prolet und Egomane zugleich.

Das Wort Opfer hörte ich zum ersten Mal im Verlaufe der multimedialen Takeoveration der Berliner Rap-Schule. Es war ein klarer Ausdruck. Er fiel selten, er hatte eine klare Definition und Kraft: Opfer ist unterlegen, Opfer ist selbstverschuldet, Opfer ist unterdrückt. Schon hier zeigt sich die harte Unterscheidung zum Toy: Toy wurde eine Möglichkeit zum Aufstieg gegeben - wohingegen Opfer Scheisse frisst, all day long. Das war damals aber nicht der Punkt. Damals war dieses kurze prägnante Wort griffig und sogar witzig. Nach dem sozialistischen Integrationsprinzip von "Toy" kam hier ein Ausdruck, der klarstellte: komm schon, du weisst doch selber, dass du ein kompletter Vollspassti (Notiz an mich: über Spasst nächste Kolumne machen) und Riesenclown bist, der nicht einmal in unser Schema passt, geschweige denn zu werten wäre. Du lebst auf Planet "übrig".

Nach seiner Insiderlaufbahn nahm das Wort allerdings einen eigenen Zug Richtung Duden. So wie der Rap aus Berlin sich verbreitete und die zigilliarden Generika Rap-Pilze nach Lederjacken und Massenmord Prinzip aus dem Boden schossen, in ihren heimlichen ikonoklastischen Selbstabwichsungen zwischen Scarface und Westberlin Maskulin aus dem Heimstudio, im selben Eiltempo gab sich auch "Opfer" als Stigma die Blösse. Jeder Trottel mit gemietetem Audi von damals bis Heute schmeisst mit dem Wort inflationär um sich, als ginge es darum, das Wort Israel in der Bibel zu ersetzen. Wie kommts?

Nun, das Wort Opfer hat sich aus dem HipHop Kosmos gelöst. Sprich: Auch wenn jemand Null und wieder Nichts mit dieser Kultur zu tun hat - wie ja so viele in den Zeiten des Rap-Semitismus - er darf das Wort in einem Hip-Hop Kontext nutzen oder versteht. Im Gegensatz zum Toy weiss beim Opfer auch der Empfänger etwas damit anzufangen, dem HipHop grundsätzlich Scheissen-Egal ist. Denn ein Opfer definiert sich über den Rand der HipHop Kultur hinaus. Ein Opfer kann definitiv ein Opfer sein.

Das Wort Opfer bedeutet Schicksal oder Leid zu erleben durch Unfall oder selbst verschuldet. Ein Opfer kann jeder sein. Und wird jemand als Opfer bezeichnet, so ist seitens des Umfelds eines Aggressors Einheit geboten: Diese Person ist Opfer.

Wenn Paris Hilton Steven Hawking als Opfer beschimpft, hat das eine gewisse gesellschaftliche Richtigkeit. Wenn Steven Hawking Paris Hilton als Opfer beschimpft auch. Vergleichen wir das in einem HipHop Kontext mit dem Wort Toy wird der Unterschied ultimativ klar: Wenn Steven Hawking Paris Hilton als Toy beschimpft, geht das. Wenn Paris Hilton Steven Hawking als Toy ausschimpft, lacht der Saal sie aus.

Wir lernen: In diesem Zeitgeist-Begriff ging das menschliche verloren und das Mass schwang von Logik zu Lautstärke. Das ist der Unterschied und die Evolution.

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sei gescheid...

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